Viel Zeit war nicht vergangen, bis Marlin verstanden hatte, was die Garou mit ‘spare Dir die Kraft für den Weg’ gemeint hatte. Dafür war einfach keine Puste mehr da.
Xies lies den Kopf hängen und hatte das Gefühl, die Gruppe zurückzuhalten. Denn obwohl die Magierin, nach allem, was Marlin bisher von ihr gesehen hatte, nicht wirklich der Outdoor-Typ war, wirkte sie auch dann noch frisch, als sie endlich stoppten, um etwas zu Mittag zu essen.
Aber auch das schien eine Freundlichkeit gegenüber Ariana und in erster Linie Marlin zu sein. Die Garou, vor allem jene, die in Wolfsform unterwegs waren, hätten die Pause wohl nicht gebraucht.
Nun aber wandelten die Meisten zurück in ihre menschliche Form. Bis auf jenen, den sie Raven Blade nannten, den Marlin bisher nur einmal sehr kurz überhaupt in menschlicher Gestalt gesehen hatte.
Marlin setzte sich heftig auf einen moosbewachsenen Felsen. Dankbar fürs erste nicht mehr Gehen oder Stehen zu müssen. Ariana trat zu xies und fragte leise. “Geht es?”
Marlin nickte und es schien auch ehrlich zu sein. Auch wenn xies danach aussah, für den heutigen Tag dann genug zu haben.
So nickte Ariana schließlich zufrieden. “Bitte kontrolliere deine Füße auf Blasen, damit wir etwas dagegen tun können, bevor sich eine entzündet. Meine Heilfähigkeiten sind …”, sie hüstelte. “Sagen wir, die Spähre “Life” ist nicht gerade meine Stärke.”
Fast ohne einen Laut zu machen, trat Nascha zu ihnen. “Dabei kann ich helfen, wenn ich darf.”
Nascha war die einzige, die, außer Ariana, auch auf dieser Wanderung einen Rock trug und sich damit durch den Wald bewegte, ohne je irgendwo hängen zu bleiben oder
Ariana nickte ihr dankend zu und auch Marlin blickte erleichtert. Xies beugte sich dann nach unten, um ihre Schuhe auszuziehen. Tatsächlich hatten sich, trotz dass Ariana Marlins Schuhe am Vortag noch auf magischem Weg etwas ‘eingelaufen’ hatte, hatten sich zwei wunderhübsche Blasen gebildet.
Nascha kniete sich vor Marlin auf den weichen Waldboden, bevor sie die Blasen vorsichtig mit ihren Händen bedeckte und zu Singen begann.
Marlin warf einen Blick zu Ariana, aber die nickte nur kurz und beruhigend. Sie wartete bis Nascha das Lied, das in Navaho sein musste, beendet hatte, bevor sie sprach. “Wir haben alle unseren eigenen Weg mit der Realität zu intagieren und jede Art ist richtig.”
Nasche kräuselte die Lippen und schien der Aussage nicht vollständig zustimmen zu wollen, während sie sich trockene Blätter von den Knien streifte. Aber sie widersprach auch nicht. Sie neigte den Kopf zu den Beiden, dann zog sie sich zurück. “Danke”, rief Marlin ihr noch hinterher. Nascha wandte sich noch einmal um und nickte ihr zu. Dann ging sie zu ihrem Rudel.
Marlin sah halb nun zu Ariana auf. “Ist das auch etwas, das ich lernen muss?”
Ariana legte den Kopf schief. “Was?”
“Ewig im Wald rumzulaufen. Es scheint Dir nichts auszumachen.”
Die Magierin zuckte mit den Schultern. “Es hilft, ja. Aber nein, das ist nichts das du lernen musst oder, dass nahezu eine Voraussetzung ist. Es gibt Magier die verlassen ihr Chantry alle paar Jahre mal, wenn überhaupt. Aber Ausdauer an sich …”, sie nickte, “Ausdauer willst du lernen, ja. Es gibt Rituale, die dauern Tage. Man kann zwar Pausen einlegen, aber es wird nicht leichter, jedesmal wieder von neuem reinzukommen. Von daher solltest du dir überlegen, welchen Ausdauersport du gerne treibst und damit anfangen. Das hier ist schon mal ein guter Start.”
Marlin verzog das Gesicht und Ariana drückte xies kurz die Schulter.
“Ich schaue, dass ich uns etwas zu essen besorge.”
Damit ging sie.
Marlin beobachtete, wie Ariana sich Winter Keeper näherte, aber in etwas Abstand wartete, bis er ihr schließlich zunickte. Sie sprach kurz mit dem Anführer, der erst unwirsch wirkte und den Kopf schüttelte. Als Ariana aber weitersprach, wurde seine Miene erst etwas dunkler, dann vielleicht einen Anflug von genervt, bis er doch nickte. Er deutete mit dem Kopf in Richtung von Old Prankster und gab damit wohl auch das Signal, dass die Magierin jetzt genug seiner Zeit gestohlen hatte.
Ariana neigte leicht den Kopf und trat zurück, bevor sie sich abwandte und zu Old Prankster ging. Der nickte nach einem Moment Gespräch und sah sogar erfreut aus, während Ariana erleichtert blickte. Sie ging auf den Waldrand zu und war nach einem Moment auch zwischen den Bäumen verschwunden. Winter Keeper sah ihr hinterher und zog die Brauen zusammen. Dann rief er Grim Heart etwas zu, dass in Navaho sein musste. Jedenfalls wandelte die Garou wieder in Wolfsform und war mit wenigen Sätzen auf dem Weg, hinter Ariana her.
Marlin sah ihr unruhig hinterher, aber alle anderen wirkten nicht aufgeregt oder aggressiv und so war das — so hoffte xies — auch keine Gefahr für Ariana. Auch wenn deren erstes Kennenlernen mit Grim Heart alles andere als ruhig abgelaufen war.
Marlin blinzelte müde, legte sich dann zurück auf den Felsen und war im Handumdrehen weggedöst.
Marlin wachte auf, als leises Lachen zu hören war. Xies setzte sich auf und blickte sich verschlafen um. Die meisten Garou ruhten sich nicht weit von Marlin auf dem moosigen Boden aus. Das Lachen kam anscheinend von Ariana und — tatsächlich — Grim Heart — die gerade wieder zwischen den Bäumen auftauchten. Ariana trug ein Tuch, das sie mit etwas gefüllt hatte, in beiden Händen und von Grim Hearts Hand baumelten zwei Enten.
Während die anderen Garou nur kurz von ihrem Gespräch aufsahen, rieb sich Old Prankster die Hände. Er nahm Ariana das Tuch ab und spähte hinein. Dann blickte er zu Grim Heart, die mit den Schultern zuckte. “Nichts giftiges dabei. Sie kennt sich ganz okay aus, für einen Wyrmbringer.”
Old Prankster hob die Brauen und Ariana zog einen Flunsch.
“So, und Winter Keeper sagte, du machst mir Feuer unter dem Hintern … ich meine, du machst das Wasser warm?”
Nun war es an Ariana, die Schultern zu zucken. “Ich versuch’s. Ein richtiges Feuer zu machen wäre leichter, aber da der Chef nein sagt…
Ich kann nur nicht versprechen, dass ich es schaffe die Temperatur gleichmässig zu halten. Schlimmstenfalls verkohlt uns das Essen.”
Das kommentierte Old Prankster mit einem fröhlichen: “Dann müsst ja nur ihr hungern. Wir können jagen.”
Arianas Gesichtsausdruck war nur leer zu nennen, bis sie schließlich nickte. “Nun gut. Das nennt man wohl Motivation.”