Ohne dem anhängenden Häuschen als Handicap war es deutlich leichter den Pickup über die schwierigen Straßen zu steuern. Ein Auto, das wie gemacht war, für unbefestigte Straßen und schwieriges Terrain. Und das, wie fast alle Gefährte, die für schweres Terrain wie gemacht erschienen, dort nur sehr selten und in den wohlhabenderen Gegenden der Großstädte dafür um so häufiger anzutreffen war.
Mai war die erste, die die gute Straßenlage und den guten Zug des Motors kommentierte. Wobei sich das Gesicht von Winter Keeper deutlich überschattete. Ein Ausdruck, der nicht besser wurde, als Mai Ariana nach den übrigen Merkmalen des Fahrzeugs ausfragte, wie Spitzengeschwindigkeit, Beschleunigung, Zugkraft und Spritverbrauch.
Ariana räusperte sich verlegen und warf einen verlegenen Seitenblick zu ihrem Beifahrer, als dessen Schweigen irgendwie lauter zu werden schien.
“Ich experimentiere schon mit alternativen Energiequellen, aber bisher haben die meisten ihre Nachteile. Auch magisch hergestellter Treibstoff, leider. Es ist nicht schwer, zum Beispiel den Tank voller altes Laub zu stopfen und das dann in Diesel umzuwandeln, aber, naja, ich kann sowas noch nicht permanent machen. Das bedeutet, auch wenn man es vollständig aufbraucht … sobald es in die Ausgangsform zurückkehrt, selbst wenn es theoretisch als Abgase aus dem Auspuff ging, der Tank ist dann wieder voll mit alten Blättern.”
“Aber kann man die dann nicht wieder in Benzin umwandeln?”, hakte Marlin neugierig nach.
“Schon. Klar. Aber erst mal hat man Laubreste im Motor und ein teures Problem.” Ariana hob die Schultern.
“Jedenfalls … ich hatte ein Seminar über moderne und historische Treibstoffe als ich noch Doktorandin war und …”
Eine Minute später sahen sich die drei Garou auf dem Rücksitz gegenseitig and und dann zu Marlin. Marlin hob leicht die Schultern.
Zwei Minuten später legte Winter Keeper seine Gesicht in seine Hand.
Drei Minuten später fragte Iara Marlin in einem möglichst höfliche Tonfall: “Gibt es einen Knopf, mit dem man sie abschalten kann?”
Marlin hob zur Antwort erneut die Schultern: “Ich kenne sie erst seit vier Tagen.”
Grim Heart sah aus dem Seitenfenster. “Wenn sie nicht aufhört könnten wir bei dem Tempo auch einfach aussteigen.”
Schließlich tippte Mai auf Arianas Schulter. Die unterbrach ihren Monolog und sah in den Rückspiegel. “Cut it,” meinte die Garou in freundlichem Tonfall.
Ariana räusperte sich und sah wieder vor sich auf die Straße. “‘Tschuldigung.”
“Nicht der Rede wert,” Mai grinste und lehnte sich zurück.
Der Rest der Fahrt verlief weitgehend schweigend, bis auf Winter Keepers Anweisungen, welchen Weg sie nehmen sollte. Nach nicht ganz einer Stunde Fahrt, auf inzwischen kaum noch als solchen erkennbaren Straßen, ließ er sie anhalten. Nachdem alle ausgestiegen waren, winkte Old Prankster sie, nun wieder in die menschliche Form gewandelt, in eine geschützte Kuhle nahe des Weges, wo der Pickup von Bäumen und niedrigem Gebüsch vor flüchtigen Blicken verborgen war.
Als auch Ariana ausgestiegen war und sich mitsamt Rucksack zur Gruppe gesellte, wandte sich der Garou an die beiden Magier.
“Ich hoffe, ich muss nicht extra deutlich machen, dass es unser Gebiet ist.”
“Nein, Sir”, antwortete Ariana.
Auch Marlin schüttelte den Kopf.
“Ich erwarte, dass meinen Anweisungen Folge geleistet wird.”
“Ja, Sir. Natürlich.” Ariana nickte und auch Marlin tat es ihr gleich.
“Wenn ich also sage, dass ihr in Deckung gehen sollt, oder ihr still sein sollt, erwarte ich kein ‘Warum’, ist das klar?”
“Natürlich, Sir”, Ariana nickte erneut und dann auch Marlin.
Winter Keeper sah die Beiden noch einen Moment misstrauisch an, ob sie einfach nur die Antworten gaben die er hören wollte. Dann wandte er sich ab und schickte Grim Heart und Old Prankster die Vorhut zu übernehmen. Beide wandelten sich in die Wolfsform und trabten den Weg, den ihr Anführer ihnen gewiesen hatte.
Ariana trat zu Marlin um leise mit xies zu sprechen. “Es ist nicht so, dass ich es super finde, andere herumzukommandieren, aber ich möchte, das eines klar ist. Das hier mag wie ein Schulausflug beginnen. Aber das ist es nicht.”
Als Marlin den Mund öffnete, um zu sagen, dass xies das schon verstand, schüttelte Ariana den Kopf.
“Nein, sag nicht, dass Du es verstanden hast. Ich bin überzeugt, dass Du das glaubst. Ich bin sogar überzeugt, dass es sich für dich im Moment so anfühlt und ich bin überzeugt, dass Du schon Scheiße in deinem Leben erlebt hast, die sich andere nur schwer vorstellen können. Und dennoch: das hier ist anders. Das wird kein Spaziergang und auch wenn ich alles dafür tun werde, Dich hier heil wieder mit raus zu nehmen: es wird dich verändern und Deine Sicht auf die Welt verändern. Ja. Noch mehr als die letzten Tage. Du kannst so gut bereit sein, wie möglich. Es wird nicht reichen. Aber …” sie nickte zu den anderen und schloss auch sich selbst in die nächsten Worte mit ein. “… so ging es wahrscheinlich uns allen und Du musst wirst damit nicht alleine sein.
Davon abgesehen möchte ich, dass Du hinter auf dem Weg hinter mir hältst, aber falle nie hinter den oder die letzte Garou zurück.
Die Intuition mag Dir sagen, dass es ganz hinten am Sichersten ist, aber …”, Ariana schüttelte den Kopf, “… das Gegenteil ist der Fall.”
Sie nickte in die Richtung, in der Grim Heart und Old Prankster verschwunden war. “Er hat die nach Vorne geschickt, die stark ist, aber ich vermute auch schnell und den, der um Ecken denkt, den sehr wahrscheinlich immer unterschätzt. Der aber alleine durch sein Alter beweist, dass er alles andere ist, als zweitklassig. Sie werden Gefahren auf dem Weg erkennen und kompetent reagieren können.
Der Stärkste des Rudels aber, wird die Gruppe nach hinten abschließen.” Sie warf einen Seitenblick zu Winter Keeper, der nun auch in Wolfsform wandelte und zu Raven Blade, der seit Beginn der Fahrt in dieser Form geblieben war und wie diese Beiden nebeneinander an die Schlussposition trottete.
Sie nickte Marlin in einer ‘siehst du?’-Geste zu und ging dann selbst los.
Mai, Iara und Nascha waren in menschlicher Form geblieben, wohl auch um mit ein Tempo zu setzten, das ihren beiden — halbwegs — menschlichen Gästen angemessen war.
Ariana sah sich um. Hatten sie auf dem Weg zu ihren Gastgebern vor allem immergrüne Wälder durchfahren, sahen sie nun immer wieder vereinzelte, sommergrüne Espen stehen. Aber daran, wie schlapp deren Zweige wirkten und wie sich manche der Blätter bereits — viel zu früh im Jahr — gelblich verfärbt hatten, konnte sie unschwer das Problem erkennen, dass die Garou angesprochen hatten. Auch wenn sie sich noch an der äußeren Grenze des Gebietes des großen Espen-Netzwerks befinden mussten, auch die Bäume hier waren bereits von dem Einfluß betroffen, der dem gesamten Organismus zusetzte.
Auch Marlin hatte sich in der neuen Gegend umgesehen. Als xies wieder nach vorne sah, konnte sie gerade noch für einen Moment Arianas kurzen Rock zwischen den Bäumen erkennen, dann schien es, als hätte der Wald sie lautlos verschluckt.
Marlin atmete ein während xies Augen groß wurde. Aber bevor xies in Panik geraten konnte, den Anschluß an Ariana verloren zu haben, tauchten Nascha neben xies auf und reichte Marlin die Hand um xies über ein paar lose Felsen hinweg zu helfen.
“Eule”, sagte sie ruhig.
“Was?”, hakte Marlin überfahren nach.
“Deine …” Nascha schien keine gute Bezeichnung für die Beziehung zwischen Marlin und Ariana zu finden und zuckte dann mit den Schultern. “Sie ist mit Eule verbündet. Eule gibt ihren Kindern die Fähigkeit der Heimlichkeit und Stille.”
“Ihren Kindern? Ich weiß nicht, was das bedeutet.”
Nascha lächelte nur. “Wir können später reden. Jetzt spar Dir Deine Kraft für den Weg.”