Ariana war aus dem Tiny House herausgetreten und sah nun neben Marlin den Wölfen entgegen.
Diese kamen bis auf etwa zwei Meter an den Porch heran um dann zu warten. Ariana wandte sich kurz um, um die Tür abzuschließen,. dann hielt sie inne. Sie waren auf dem Gebiet ihrer Gastgeber. Wer hier hin kam, war Kinfolk, eingeladen oder würde hinterher vermutlich nicht mehr davon berichten können. Dennoch drehte sie den Schlüssel einmal im Schloß, hielt ihn kurz so, dass die Garou ihn sehen konnten und schob ihn dann unter die Fußmatte.
Sie misstraute ihren Gastgebern nicht – jedenfalls nicht, was ihren Besitz anging. Andererseits musste ihr auch kein Windstoß die Tür aufdrücken und sie, bei ihrer Rückkehr, erst einmal säckeweise Laub aus dem Häuschen hinausschaufeln.
Sie schritt die kleine, ausklappbare Treppe vom Porch herunter, um nur eine Armeslänge entfert vor dem größten der Wölfe zu stehen. Marlin war zögerlich gefolgt, blieb aber noch auf der untersten Treppenstufe stehen. Flüssig, schnell, aber auch langsam genug, um den gesamten Prozess zu beobachten, veränderten sich die Glieder des Wolfes, wurde aus dem Fell Haut und Kleidung, bis ein muskulöser Mann mit schwarzen Haaren vor ihnen stand. Wie bei ihrem ersten Treffen trug er Jeans und ein traditionelles Hemd. Auch der Schmuck hing um seinen Hals.
Ariana neigte den Kopf. „Winter Keeper. Sir.“
Er nickte zurück und hielt sich nicht dabei zurück, Ariana von Kopf bis Fuß zu mustern. Dass sie einen kurzen Rock über einer Leggins trug, ließ ihn kurz die Brauen heben, aber er sagte nichts. Und der Rest, von den Stiefeln bis zum Sitz des Rucksacks schien ihn zu befriedigen. Jedenfalls nickte er, bevor er Marlin einer ähnlichen Musterung unterzog, die wohl ebenfalls zufriedenstellend ausfiel.
Von den anderen hatten sich Iara und Mai ebenfalls gewandelt. Die Anwältin trug heute ebenfalls eine Kombination aus einer weichen, weit fallenden, traditionellen Hose und einem Hemd. Mehrere Armbänder aus Türkisen zierten ihre Handgelenke. Old Prankster hatte auch in gewandelter Form bereits graue Stellen im Fell. Er schnupperte an einem Blumentopf auf Arianas Porch und musste niesen.
Ariana konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, aber Marlin zuckte bei dem unerwarteten Geräusch erst einmal zusammen.
„Bereit?“ fragte Winter Keeper und Ariana nickte.
„Wo müssen wir hin? Also, wie weit von hier?“
„Das Gebiet fängt etwa fünfundzwanzig Meilen nordöstlich von hier an.“ Ariana hob die Brauen und sie linste aus den Augenwinkeln kurz zu Marlin. „Das … ist ein Stückchen.“ Sie sah kurz überlegend zur Seite, wo ihr Pickup geparkt stand und wägte ein paar Sekunden ab. Freunde würde sie sich nicht damit machen. Aber …
„Wir könnten auch mit meinem Wagen näher an unseren Ausgangspunkt fahren.“
Winter Keeper atmete tief ein, wie um Anlauf für eine vernichtende Antwort zu holen, aber Mai sprach ihn über seine Schulter hinweg an.
„Egal wie fit sie sind, sie sind nicht auf vier Beinen unterwegs sondern nur auf zwei. Je früher wir ankommen, um so mehr Zeit können wir damit verbringen, herauszufinden, was eigentlich genau los ist.“
„Es ist mit Sicherheit das kleinere Übel. „Ließ sich auch Iara hören. „Tasunka und Nascha könnten aber natürlich auch die Spirits befragen, ob etwas dagegen spricht.“
Winter Keeper sah kurz Richtung Himmel und seine Hand hob sich leicht, als ob er sie vor Augen legen wolle. Aber er brach die Gegend auf halbem Weg ab. Auch er sah nun in Richtung von Arianas Pickup, der immer noch die leuchtende bonbon-pinke Lackfarbe zeigte, die Ariana ihm vor nicht ganz vier Tagen gegeben hatte. Die sich aber in Zwischenzeit zumindest an einigen Stellen schon zu einem Baby-Rosa abgeschwächt hatte.
„Wir könnten auch mit Kriegsgeheul und 50 Mann zu Pferd einreiten, wenn wir so auffällig sein wollten.
„Ich kann das umfärben.“ Ariana zuckte mit den Schultern. „Die leichteste Übung.“
Winter Keepers Blick zeigte an, dass das nun nicht die Antwort war, die er hatte hören wollen. Aber mit einem kurzen Deut seines Kinns in Richtung Pickup, schickte er die Magierin los, ihre Worte zu beweisen.
Ariana nickte und hob ihr Armband, an denen Elemente des Periodensystems als Charms hingen, vor Augen. Über das Armband hinweg peilte sie den Pickup an und wie es Marlin bereits erlebt hatte, lief ein Farbumschlag vom Kühlergrill des Fahrzeugs bis hin über das Heck zur hinteren Stossstange.
Möglicherweise, da die Farbe des Lacks diesmal schon nicht einheitlich gewesen war, war der Effekt nicht so perfekt wie beim ersten Mal. Nun stand dort ein fleckig braun-grünliches Gefährt, an dem an ein paar Stellen noch Pink und Rosa durchschimmerte.
Ariana mustere das Ergebnis mit sichtlicher Irritation. Dann zuckte sie die Schultern. „Äh. Naja. Wird gehen.“
Winter Keeper sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Hey, ich habe gesagt, dass ich noch lerne!“ Ariana ging dann zur Beifahrertür, öffnete sie und machte eine anbietende Geste zum Anführer hin. „Bitte.“ Zu Marlin fügte sie hinzu. „Setzt du dich hinten rein?“
Ariana ging derweil zum Ladebereich und kletterte unter die feste Abdeckung. Ein paar scharfe Klicks und die Haube bewegte sich. Auf ein geächztes „Kann mir mal jemand helfen?“ packte – dann auch gewandelt – Hugh mit an und schließlich auch der Mann, den sie bisher nur in Wolfsform gesehen hatten. Er hatte langes, schwarzes Haar, das am Hinterkopf zusammengefasst war. Und anders als die anderen Männer trug er keine modernen Jeans, sondern eine Art Kniebundhose aus dünnem Leder und darüber eine bunte gewebte Weste.
Zu dritt hatten sie die erstaunlich leichte Abdeckung von der Ladefläche heruntergehoben, wobei Ariana nur noch mit den Fingerspitzen herangereicht war, um den Weg, den sie nahmen zu dirigieren.
Unter der Haube tauchte ein Sammelsurium an Gegenständen auf, die Ariana hier, wie in einer Garage, abgestellt hatte. Old Prankster bekam ein lindgrünes Klapprad mit weißem Körbchen am Lenker hingestreckt und er konnte sich nicht zurückhaltend grinsend die Klingel zu betätigen, bis er es im Schatten des Tiny House abgestellt hatte.
Raven Blade nahm schweigend zwei verschlossene Transportkisten entgegen und stellte sie auf dem Porch ab.
Nascha, Chants-at-Sunrise, klappte eine Ecke eines zusammengerollten Orient-Teppichs zurück und befühlte sie. Mit hochgezogenen Brauen sah sie zu Ariana, als ihre Fingerspitzen die Seide erkannten.
Die hob erst einen Mundwinkel und dann die Schultern. “Lange Geschichte. Ein Andermal. Vielleicht.”
Dann sah sie zweifelnd auf die Ladefläche. “Wird es so gehen?”
“Natürlich,” erwiderte Nascha schlicht und wandelte sich in einem Prozess der bei ihr mehr graziös als beunruhigend oder animalisch wirkte. In Wolfsform sprang sie auf die Ladefläche und legte sich an der Rückwand des Cockpits ab. Old Prankster und Raven folgten ihrem Beispiel. Raven sah vor dem Wandeln fast etwas erleichtert aus, dass die kurze Zeit in menschlicher Gestalt endlich vorbei war.
Auf dem Rücksitz war Marlin davon überfahren worden, dass, kaum hatte xies sich auf dem Platz hinter dem Fahrersitz anschnallen wollen, Grim Heart mit einem ‘rutsch durch’ neben ihr auftauchte. Von der andere Seite kletterten erst Iara und dann Mai auf die Rückbank, so dass Marlin sich, trotz der Größe des Pickups, sich zwischen den drei Garou-Frauen etwas eingeklemmt fühlte.
Winter Keeper warf vom Beifahrersitz einen kurzen Blick zu seinen Rudelmitgliedern, die sich unverhohlen neugierig im Cockpit umsahen. Er stützte den Ellenbogen auf Umrandung des Seitenfensters und seine Stirn in die Hand in einer “Doch meine Affe, doch mein Zirkus”-Geste und Marlin konnte sein leises Ausatmen hören, als nun auch noch ein Wolfsschädel im Rückfenster auftauchte und neugierig in den Innenraum spähte – Old Prankster.
Schließlich kletterte auch Ariana auf den Fahrersitz. Sie zögerte kurz als sie die gut gefüllte Rückbank sah. Allerdings würde sie sich, im Falle eines Unfalls, noch eher um die Integrität des Straßenbelags sorgen machen müssen, als um die Gesundheit ihrer Garou-Passagiere und so ging ihre Frage rein an Marlin. “Angeschnallt?”
Marlin hatte das so eben leidlich hinbekommen und nickte dann. Auch Ariana schallte sich an und kommentierte nicht, dass Winter Keeper neben ihr es unterließ. Sie setzte Zyx in ihrer Grasschale zwischen Fahrersitz und Beifahrersitz ab, nachdem die Grasnatter vorher unruhig um ihren Hals geschlängelt war.
Während Ariana den Pickup vom Land der Garou nun in Richtung der mehr oder weniger offiziellen Straße lenkte, schien Zyx ihre eigene Slalomstrecke durch das niedrige Gras zu legen und sie mit zunehmender Geschwindigkeit abzuschlängeln.
“Was … ist mit diesem Tier … “ fragte Winter Keeper irritiert nach ein paar hundert Metern.
“Zu viel Kaffee.” Ariana zuckte mit den Schultern.
Vier Augenpaare starrten sie für einen Moment an.
“Ist sie, wie nennt man das bei Magiern? Ein magischer Begleiter?”, hakte Iara nach.
“Ein Familiar?” Ariana schüttelte den Kopf. “Familiars sind eigentlich durch und durch magische Wesen, die nur oft die äußere Form eines Tieres haben. Aber nein. Zyx ist Zyx. Sie ist nur eine Grasnatter.”
“Sie benimmt sich nicht wie ‘nur eine Grasnatter’”, merkte Mai an.
“Sie …” Ariana überlegte sichtlich für einen Moment, wie sie in Worte fassen konnte, was Zyx zu dem machte, was sie war. “… hat sich verändert. Sie half aus, als Gefäß für die Seele einer Person, die gerettet werden musste. Anschließend war sie nicht mehr nur eine Grasnatter. Daher bot ich ihr an, bei mir zu bleiben. Aber sie ist nicht an mich gebunden, wie es ein Familiar wäre. Wir sind mehr eine Wohngemeinschaft.”
Alle vier Garou im Wagen trugen für einen Moment den Gesichtsausdruck, der unschwer ablesen ließ, dass Ariana gerade alle ihre Vorurteile, alle Geschichten und Gerüchte, die man über ‘verrückte Magier’ hörte, absolut zufriedenstellend erfüllte.