Young graceful tender ballerina on dark green studio background @ vova130555@gmail.com

Ariana war aus dem Tiny House herausgetreten und sah nun neben Marlin den Wölfen entgegen.

Diese kamen bis auf etwa zwei Meter an den Porch heran um dann zu warten. Ariana wandte sich kurz um, um die Tür abzuschließen,. dann hielt sie inne. Sie waren auf dem Gebiet ihrer Gastgeber. Wer hier hin kam, war Kinfolk, eingeladen oder würde hinterher vermutlich nicht mehr davon berichten können. Dennoch drehte sie den Schlüssel einmal im Schloß, hielt ihn kurz so, dass die Garou ihn sehen konnten und schob ihn dann unter die Fußmatte.

Sie misstraute ihren Gastgebern nicht – jedenfalls nicht, was ihren Besitz anging. Andererseits musste ihr auch kein Windstoß die Tür aufdrücken und sie, bei ihrer Rückkehr, erst einmal säckeweise Laub aus dem Häuschen hinausschaufeln. 

Sie schritt die kleine, ausklappbare Treppe vom Porch herunter, um nur eine Armeslänge entfert vor dem größten der Wölfe zu stehen. Marlin war zögerlich gefolgt, blieb aber noch auf der untersten Treppenstufe stehen. Flüssig, schnell, aber auch langsam genug, um den gesamten Prozess zu beobachten, veränderten sich die Glieder des Wolfes, wurde aus dem Fell Haut und Kleidung, bis ein muskulöser Mann mit schwarzen Haaren vor ihnen stand. Wie bei ihrem ersten Treffen trug er Jeans und ein traditionelles Hemd. Auch der Schmuck hing um seinen Hals.
Ariana neigte den Kopf. „Winter Keeper. Sir.“

Er nickte zurück und hielt sich nicht dabei zurück, Ariana von Kopf bis Fuß zu mustern. Dass sie einen kurzen Rock über einer Leggins trug, ließ ihn kurz die Brauen heben, aber er sagte nichts. Und der Rest, von den Stiefeln bis zum Sitz des Rucksacks schien ihn zu befriedigen. Jedenfalls nickte er, bevor er Marlin einer ähnlichen Musterung unterzog, die wohl ebenfalls zufriedenstellend ausfiel.

Von den anderen hatten sich Iara und Mai ebenfalls gewandelt. Die Anwältin trug heute ebenfalls eine Kombination aus einer weichen, weit fallenden, traditionellen Hose und einem Hemd. Mehrere Armbänder aus Türkisen zierten ihre Handgelenke. Old Prankster hatte auch in gewandelter Form bereits graue Stellen im Fell. Er schnupperte an einem Blumentopf auf Arianas Porch und musste niesen.

Ariana konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, aber Marlin zuckte bei dem unerwarteten Geräusch erst einmal zusammen.

„Bereit?“ fragte Winter Keeper und Ariana nickte.

„Wo müssen wir hin? Also, wie weit von hier?“

„Das Gebiet fängt etwa fünfundzwanzig Meilen nordöstlich von hier an.“ Ariana hob die Brauen und sie linste aus den Augenwinkeln kurz zu Marlin. „Das … ist ein Stückchen.“ Sie sah kurz überlegend zur Seite, wo ihr Pickup geparkt stand und wägte ein paar Sekunden ab. Freunde würde sie sich nicht damit machen. Aber …
„Wir könnten auch mit meinem Wagen näher an unseren Ausgangspunkt fahren.“

Winter Keeper atmete tief ein, wie um Anlauf für eine vernichtende Antwort zu holen, aber Mai sprach ihn über seine Schulter hinweg an.

„Egal wie fit sie sind, sie sind nicht auf vier Beinen unterwegs sondern nur auf zwei. Je früher wir ankommen, um so mehr Zeit können wir damit verbringen, herauszufinden, was eigentlich genau los ist.“

„Es ist mit Sicherheit das kleinere Übel. „Ließ sich auch Iara hören. „Tasunka und Nascha könnten aber natürlich auch die Spirits befragen, ob etwas dagegen spricht.“

Winter Keeper sah kurz Richtung Himmel und seine Hand hob sich leicht, als ob er sie vor Augen legen wolle. Aber er brach die Gegend auf halbem Weg ab. Auch er sah nun in Richtung von Arianas Pickup, der immer noch die leuchtende bonbon-pinke Lackfarbe zeigte, die Ariana ihm vor nicht ganz vier Tagen gegeben hatte. Die sich aber in Zwischenzeit zumindest an einigen Stellen schon zu einem Baby-Rosa abgeschwächt hatte.

„Wir könnten auch mit Kriegsgeheul und 50 Mann zu Pferd einreiten, wenn wir so auffällig sein wollten.

„Ich kann das umfärben.“ Ariana zuckte mit den Schultern. „Die leichteste Übung.“

Winter Keepers Blick zeigte an, dass das nun nicht die Antwort war, die er hatte hören wollen. Aber mit einem kurzen Deut seines Kinns in Richtung Pickup, schickte er die Magierin los, ihre Worte zu beweisen.

Ariana nickte und hob ihr Armband, an denen Elemente des Periodensystems als Charms hingen, vor Augen. Über das Armband hinweg peilte sie den Pickup an und wie es Marlin bereits erlebt hatte, lief ein Farbumschlag vom Kühlergrill des Fahrzeugs bis hin über das Heck zur hinteren Stossstange.

Möglicherweise, da die Farbe des Lacks diesmal schon nicht einheitlich gewesen war, war der Effekt nicht so perfekt wie beim ersten Mal. Nun stand dort ein fleckig braun-grünliches Gefährt, an dem an ein paar Stellen noch Pink und Rosa durchschimmerte.

Ariana mustere das Ergebnis mit sichtlicher Irritation. Dann zuckte sie die Schultern. „Äh. Naja. Wird gehen.“

Winter Keeper sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Hey, ich habe gesagt, dass ich noch lerne!“ Ariana ging dann zur Beifahrertür, öffnete sie und machte eine anbietende Geste zum Anführer hin. „Bitte.“ Zu Marlin fügte sie hinzu. „Setzt du dich hinten rein?“

Ariana ging derweil zum Ladebereich und kletterte unter die feste Abdeckung. Ein paar scharfe Klicks und die  Haube bewegte sich. Auf ein geächztes „Kann mir mal jemand helfen?“ packte – dann auch gewandelt – Hugh mit an und schließlich auch der Mann, den sie bisher nur in Wolfsform gesehen hatten. Er hatte langes, schwarzes Haar, das am Hinterkopf zusammengefasst war. Und anders als die anderen Männer trug er keine modernen Jeans, sondern eine Art Kniebundhose aus dünnem Leder und darüber eine bunte gewebte Weste.

Zu dritt hatten sie die erstaunlich leichte Abdeckung von der Ladefläche heruntergehoben, wobei Ariana nur noch mit den Fingerspitzen herangereicht war, um den Weg, den sie nahmen zu dirigieren.

Unter der Haube tauchte ein Sammelsurium an Gegenständen auf, die Ariana hier, wie in einer Garage, abgestellt hatte. Old Prankster bekam ein lindgrünes Klapprad mit weißem Körbchen am Lenker hingestreckt und er konnte sich nicht zurückhaltend grinsend die Klingel zu betätigen, bis er es im Schatten des Tiny House abgestellt hatte.
Raven Blade nahm schweigend zwei verschlossene Transportkisten entgegen und stellte sie auf dem Porch ab.

Nascha, Chants-at-Sunrise, klappte eine Ecke eines zusammengerollten Orient-Teppichs zurück und befühlte sie. Mit hochgezogenen Brauen sah sie zu Ariana, als ihre Fingerspitzen die Seide erkannten.

Die hob erst einen Mundwinkel und dann die Schultern. “Lange Geschichte. Ein Andermal. Vielleicht.”

Dann sah sie zweifelnd auf die Ladefläche. “Wird es so gehen?”

“Natürlich,” erwiderte Nascha schlicht und wandelte sich in einem Prozess der bei ihr mehr graziös als beunruhigend oder animalisch wirkte. In Wolfsform sprang sie auf die Ladefläche und legte sich an der Rückwand des Cockpits ab. Old Prankster und Raven folgten ihrem Beispiel. Raven sah vor dem Wandeln fast etwas erleichtert aus, dass die kurze Zeit in menschlicher Gestalt endlich vorbei war.

Auf dem Rücksitz war Marlin davon überfahren worden, dass, kaum hatte xies sich auf dem Platz hinter dem Fahrersitz anschnallen wollen, Grim Heart mit einem ‘rutsch durch’ neben ihr auftauchte. Von der andere Seite kletterten erst Iara und dann Mai auf die Rückbank, so dass Marlin sich, trotz der Größe des Pickups, sich zwischen den drei Garou-Frauen etwas eingeklemmt fühlte.

Winter Keeper warf vom Beifahrersitz einen kurzen Blick zu seinen Rudelmitgliedern, die sich unverhohlen neugierig im Cockpit umsahen. Er stützte den Ellenbogen auf Umrandung des Seitenfensters und seine Stirn in die Hand in einer “Doch meine Affe, doch mein Zirkus”-Geste und Marlin konnte sein leises Ausatmen hören, als nun auch noch ein Wolfsschädel im Rückfenster auftauchte und neugierig in den Innenraum spähte – Old Prankster.

Schließlich kletterte auch Ariana auf den Fahrersitz. Sie zögerte kurz als sie die gut gefüllte Rückbank sah. Allerdings würde sie sich, im Falle eines Unfalls, noch eher um die Integrität des Straßenbelags sorgen machen müssen, als um die Gesundheit ihrer Garou-Passagiere und so ging ihre Frage rein an Marlin. “Angeschnallt?”

Marlin hatte das so eben leidlich hinbekommen und nickte dann. Auch Ariana schallte sich an und kommentierte nicht, dass Winter Keeper neben ihr es unterließ. Sie setzte Zyx in ihrer Grasschale zwischen Fahrersitz und Beifahrersitz ab, nachdem die Grasnatter vorher unruhig um ihren Hals geschlängelt war.
Während Ariana den Pickup vom Land der Garou nun in Richtung der mehr oder weniger offiziellen Straße lenkte, schien Zyx ihre eigene Slalomstrecke durch das niedrige Gras zu legen und sie mit zunehmender Geschwindigkeit abzuschlängeln.

“Was … ist mit diesem Tier … “ fragte Winter Keeper irritiert nach ein paar hundert Metern.

“Zu viel Kaffee.” Ariana zuckte mit den Schultern.

Vier Augenpaare starrten sie für einen Moment an.

“Ist sie, wie nennt man das bei Magiern? Ein magischer Begleiter?”, hakte Iara nach.

“Ein Familiar?” Ariana schüttelte den Kopf. “Familiars sind eigentlich durch und durch magische Wesen, die nur oft die äußere Form eines Tieres haben. Aber nein. Zyx ist Zyx. Sie ist nur eine Grasnatter.”

“Sie benimmt sich nicht wie ‘nur eine Grasnatter’”, merkte Mai an.

“Sie …” Ariana überlegte sichtlich für einen Moment, wie sie in Worte fassen konnte, was Zyx zu dem machte, was sie war. “… hat sich verändert. Sie half aus, als Gefäß für die Seele einer Person, die gerettet werden musste. Anschließend war sie nicht mehr nur eine Grasnatter. Daher bot ich ihr an, bei mir zu bleiben. Aber sie ist nicht an mich gebunden, wie es ein Familiar wäre. Wir sind mehr eine Wohngemeinschaft.”

Alle vier Garou im Wagen trugen für einen Moment den Gesichtsausdruck, der unschwer ablesen ließ, dass Ariana gerade alle ihre Vorurteile, alle Geschichten und Gerüchte, die man über ‘verrückte Magier’ hörte, absolut zufriedenstellend erfüllte.


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01 — Katharsis

Young beautiful dancer jumping into blue powder cloud

Sie betrat das Tanzstudio, dessen Raum sie für die kommende Stunde gemietet hatte und schloß die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich. Kurz blieb sie dort stehen, lehnte die Stirn an die geschlossene Tür, bevor sie durch den Raum zu der Bank an der Querseite schritt. Sie ließ ihre Tasche auf die Bank gleiten und nahm daneben Platz  um aus ihren Schuhen heraus und in die Spitzenschuhe hineinzuschlüpfen.

Ohne es wirklich zu bemerken, vermied sie es, in die großen Spiegel der Längsseite zu sehen. Statt dessen fiel ihr dunkles Haar wie ein Vorhang, oder wie Scheuklappen, um sie herum, während sie langsam, sorgfältig, eines der Satinbänder nach dem anderen um ihre Fußgelenke schlang. Kurz stellte sie jeden Fuß auf, um den Sitz der Schuhe zu überprüfen, bevor sie zu ihrem Smartphone griff, und die in der Wand versteckten Bluetooth-Lautsprecher ansteuerte.

Sie hatte die Playlist sorgfältig im Vorfeld zusammengestellt. Jedes Stück genau in der richtigen Länge für die einzelnen Übungen. Nur nicht mit den Gedanken abschweifen und das Warmmachen schleifen lassen. Sie mochte viel überleben können, aber Muskelfaser- oder Sehnenrisse waren doch schmerzhaft. Und der Heiler war …

Sie brach den Gedankengang ab.

Anmutig konnte man ihre Bewegungen noch nicht nennen, nach den wenigen Monaten Training. Sie hatte zu spät mit dem Training angefangen … viel zu alt. Sie war keine Ballerina, würde nie eine sein, egal wie viel Zeit ihr Trainer in sie steckte. 

Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht tanzen konnte. Oder wollte. 

Während hinter ihr die Klaviermusik aus den Lautsprechern plätscherte, führte sie methodisch – und irgendwie auch mechanisch – die Übungen an der Stange aus. Normalerweise würde sie ihre Haltung im Spiegel kontrollieren. Korrigieren. Heute hielt sie den Blick abgewendet und ging gerade nicht so weit, den Spiegel temporär zumindest, in eine stumpfe Fläche zu verwandeln. Es konnte jederzeit jemand hereinkommen, obwohl sie eine Stunde gewählt hatte, zu der sie sehr wahrscheinlich alleine in der gesamten Tanzschule sein würde. Abgesehen von ihrem Kontakt, der sie hereingelassen hatte und später wieder hinauslassen würde. Aber man wusste nie und wenn sie gerade etwas nicht noch zusätzlich nötig hatte, dann war das Paradox.

Etwa 100 unterschiedlicher Pliées und Dehnübungen später, endete das Klaviergeklimper und in der Playlist entstand eine kurze, voreingestellte Pause. Noch ein Tastenanschlag mehr und das nächste Klavier, das ihr begegnet wäre, hätte möglicherweise einen kurzen und feurigen Tod erhalten.

Mit einem halben Dutzend schneller Schritte, war sie in der Mitte des Raums. Und als die erste Note des harten Rocksongs aus den Lautsprechern dröhnte, begann sie zu tanzen. 

Nur wenige Takte in die Musik setzte sie zum ersten Tour jeté an, dann folgte Sprung auf Sprung, im harten Rhytmus der schnellen Passagen.

Eine Kombination, die auch für eine durchtrainierte, professionelle Tänzerin an die Grenzen der Kondition gehen würde. Bei ihr aber wurde jeder Sprung höher, gewagter, die Drehungen schneller.
Sie brauchte es gerade, ihren Körper zu spüren, an dessen Grenzen zu gehen und darüber hinaus.

Ihr langes, offenes Haar wirbelte um sie, verdeckte ihr nicht selten die Sicht, wenn sie überhaupt Wert darauf gelegt hätte, zu sehen wohin sie sich bewegte.

Nur einmal streifte sie ihr eigenes Bild flüchtig mit dem Blick im Spiegel. Die Wangenknochen, die stärker hervortraten. Die härtere Kinnlinie. Die Schatten unter ihren Augen.

Gleich wurde ihr Gesicht von anderen Gesichtern verdrängt. Ihrem Verlobten … verschwunden. Vermisst. Vermutlich tot.

Grand jeté.

Ihre Wahlfamilie. Verschwunden. Vermisst. Vermutlich tot.

Brisé. Pirouette.

Nicht einmal sie hatte, mit all ihren Fähigkeiten, etwas herausfinden könnten. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Als hätte der Erdboden sie nicht einmal gekannt.

Ein weitere Sprung ging in den nächsten über. Halsbrecherisch oder eher knochenbrecherisch bei ihrem Ausbildungsstand. Doch sie lehnte sich nur mehr in die Sprünge hinein, spürte die Kräfte, die Fliehkräfte wirken, während sie einen kleinen Zauber hineinfließen ließ, die Sprünge noch etwas extatischer machte.

Nur wenig. Es konnte immer noch jemand reinkommen. Jemand durch die Fenster knapp unter der Decke hineinspähen, so unwahrscheinlich das auch war.

Das Lied ging in das nächste, ähnlich schnelle, ähnlich harte Lied über und das nächste. Als der letzte Ton des letzten Liedes verklang, führte der letzte Sprung sie in eine kniende Position.  Hier verharrte sie, den Kopf gesenkt, das Haar sie umgebend, wie einen Schleier, während sich ihr Atem nur langsam beruhigte.

Im Moment hätte sie gar nicht aufstehen können, selbst wenn sie wollte. Ihre Knie hätten zu sehr gewackelt.

Sie blieb dort, an der Stelle, bis es leise klopfte und ihr Kontakt den Kopf hereinstreckte. „Ich muss demnächst abschließen, Miss und sie wollen sicher noch duschen.“

Ariana schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen. „Ich dusche zuhause. Es ist nicht weit. Ich bin in zehn Minuten am Eingang.“

„Danke, Miss,“ die Tür schloß sich wieder.

Sie erhob sich. Eher ungraziös. Der mächtige Muskelkater, den sie am nächsten Tag haben würde, kündigte sich bereits an. Aber es war ihr gleich. Nein. Falsch. Sie würde ihn begrüßen.

Schmerz. Er passte zu ihrem Leben. Nicht erst seit gestern, aber besonders in dieser Zeit.

Sie ließ sich auf der Bank nieder um die Bänder der Spitzenschuhe aufzuschnüren. Während sie die Schuhe abstreifte, klingelte ihr Telefon. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die angezeigte Nummer, um dann sofort abzunehmen.

Ihr Chantry. Aber nicht die zentrale Nummer, sondern das ‚rote‘ Telefon.

Statt einer Telefonverbindung baute sich eine Videokonferenz auf und Ariana blickte in ein knautschig-faltiges, gutmütiges Gesicht, das sie ernst anblickte.

„Was gibt es?“ fragte sie ohne Smalltalk.

„Das Medium im Dienst hat einen neuen Erwachenden gefunden. Er ist in akuter Gefahr.“

Sie presste die Lippen zusammen und nickte.  Dann konnte sie ein leises Seufzen aber auch nicht unterdrücken. „Bleibt mir Zeit für eine Dusche?“

„Besser nicht, antwortete die Frau auf der anderen Seite. „Es sind 100 Meilen nordöstlich deiner Position. Ich schicken dir alle weiteren Daten aufs Smartphone. Sofern du nicht noch Verbündete in der Gegend hast, können wir dir gerade niemanden schicken. Du bist auf dich alleine gestellt. Es tut mir leid.“

Ariana nickte. „Zehn Minuten, dann bin ich unterwegs. Wünsch mir Glück.“

Die Frau auf der Gegenseite hob einen Mundwinkel. „Was sagen wir zum Gott des Todes?“

„Nicht heute.“ Ariana legte auf und warf das Gerät in ihre Tasche, zusammen mit den Schuhen.

Zehn Minuten später rauschte ein weißer Ford Pick-Up über die Ausfallstraße in nordöstliche Richtung.

Sie war auf dem Weg.


02 — Odyssee

Ballerina dancing in pointe shoes

Vage. So vage.

Es war eine Idee gewesen, Übersinnliche mit medialen Fähigkeiten anzuheuern, um dem gegenzusteuern, dass immer mehr  Erwachende dies außerhalb der Strukturen taten, die sich unter Magiern, Garou oder auch den Changelings ausgebildet hatten. Den Suits einen Schritt voraus sein. 

Aber abgesehen davon, dass nicht gerade viele Medien Schlange standen, um Freiwilligenarbeit für sie zu leisten, war diese Arbeit auch auf eine Art anstrengend, die Ariana erst nachvollziehen konnte, seit sie selbst ein paar Mal als … Kanal …für Entitäten von der anderne Seite gedient hatte. 

Es war nicht so, dass ihre Hilfe der medial Begabten nicht nützlich war. Im Gegenteil. Sie war  unersetzlich. Aber sie war auch extrem anfällig, störanfällig, und oft extrem vage. 

Und jetzt hatte sie auch noch das Navi in ein weiteres, totes Ende geführt. 

Ariana fluchte leise und rammte die Automatic des Ford Heavy Duty Pickups in den Rückwärtsgang. Neben ihr in der Schale, die auf die Mittelkonsole aufgesetzt war, regte sich etwas und Zyx, die kleine Grasnatter blickte missmutig züngelnd von ihrem Wärmestein auf. 

Nach einem Moment wirkte sie resigniert – wenn Grasnattern resigniert schauen konnten und sie streckte sich von dem Wärmestein, hin zu Arianas Arm. Erst wand sich sich um den Arm herum, dann schlüpfte sie unter den Armel und wand sich den Arm hinauf, bis sie sich wie eine dekorative Torque um Arianas legte. Dem wohl einzigen Platz im Wagen, der von der eher ruppigen Fahrweise der Magierin gerade nicht durchgeschüttelt wurde, weil sie automatisch mit ihrem Körper ausglich. 

„C’mon …“ fluchte sie leise in Richtung des Navis. „… es muss doch einen Weg auf diese Anhöhe geben, der nicht im Nirgendwo endet.“

Tatsächlich berechnete das System just in diesem Moment die Strecke neu und zeigte eine beruhigende grüne Linie, die grob in die Richtung führte, das Medium genannt hatte. Das die wenigen Bilder, die es empfangen hatte, noch mit ‚vermutlich weiter oben‘ garniert hatte. 

„Wenn es wenigstens eine Monty Python Wegbeschreibung wäre, dann wäre es wenigstens witzig,“ murmelte Ariana und brachte das Auto, sie selbst und damit auch die Grasnatter um ihren Hals auf den neuen Weg. Aber nicht nur, dass die Wegbeschreibung vage geblieben war, sie wusste nicht einmal, mit was für einer Art von Erwachendem sie es zu tun haben würde. Einem Magier? Einem Garou? Einem Changeling? Wohl keinen Changeling. Diese hatten irgendwie besser Chancen, die ihren auch über Entfernung zu erkennen, als sie die Magier. Auch die Garou hatten nicht ganz so viel Pech mit Lost Cubs, wie sie es anscheinend hatten, mit Erwachenden die … irgendwo verschwanden … 

Aber nicht heute. NIcht, wenn sie es verhindern konnte. 

Alles was sie im Moment brauchte, war ein Platz. Am Besten etwas erhöht, und nicht auf den ersten Blick von weither einsehbar. Mit zumindest ein bisschen Platz und ein bisschen Schutz, dass sie ein Ritual machen konnte. Alleine, zum ersten Mal seit … seit sie erwacht war? Überhaupt? Ein bitterer Geschmack sammelte sich in ihrem Mund. Aber jetzt war nicht der Moment, zusammenzubrechen und sich in ein Häufchen Elend aufzulösen. 

Jemand brauchte ihre Hilfe und das war genug.