Bis nach Arizona hinein waren sie gut voran gekommen. Marlin hatte immer wieder die Chance genutzt Fragen zu stellen, auch um sich vom Nachdenken, über das, was passiert war, abzulenken. Wenn es aber um Magie ging, beantwortete Ariana die Fragen grundlegend, bot aber nicht von sich aus an, mehr zu erzählen.
Man konnte Marlin ansehen, wie das Verhalten xies frustrierte und auch Ariana biss sich frustriert auf die Lippen. Es gab Momente, in denen sie die Eigenarten der Traditionen hasste und das war so einer. Aber gerade, wenn sie recht behielt und Marlins Talente vor allem im Bereich der Kräfte „Forces“ lagen, wollte sie sie xies keine Chancen verbauen, den richtigen Mentor zu finden. Leider waren gerade viele Hermetiker in diesem Bereich besonders eigen, während ihre eigene Tradition oder auch andere junge Traditionen, wie die Virtual Adepts, sich drauf verließen, dass ihre Lehrlinge schon von alleine zur ‚richtigen‘ Magie finden würden.
Im Falle ihrer eigenen Tradition, waren manche Konzepte auch so offen gehalten, dass man sie locker mit anderen Ideen von Magie verbinden konnte, ohne zu sehr anzuecken. So war sie mit ihrem eigenen Paradigma, die Welt, wie sie anscheinend war, nur als Interface zu begreifen, das es Lebewesen möglich machte, mit ihr zu interagieren, gut geeignet um an andere Paradigmen dort anzudocken, wo diese eine Lücke für ihre Definition von ‚Interface‘ zuließen.
Eine magische API, sozusagen.
Als Marlin irgendwann leergefragt schien, hatte Ariana xies gefragt, ob es okay war, wenn sie Podcasts hören würden und seitdem lief Arianas manchmal etwas einseitige Mischung über das Entertainment Center des Pickup-Trucks.
Marlin hörte teils zu, teils gelangweilt weg, teils döste xies, wenn die lange Fahrt plus ein besonders trockenes Thema einschläfernd wirkten.
Als sie dann endlich vom Highway abgefahren waren und ihren Weg durch die Berge suchten, hatte sich aber Zyx vehement gemeldet und auf Musik bestanden. Marlin war darüber nicht gerade unglücklich und zum Bonus gab es nun noch die Grasnatter zu sehen, die auf dem Armaturenbrett tanzte.
Ariana schmunzelte, dann sah sie aber auch überlegend auf ihr Navigationssystem.
„In zehn Meilen etwa erreichen wir eine kleine Stadt. Das wird dann aber auch die letzte richtige Stadt für den Rest der Fahrt sein. Wir sollten anhalten und einkaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns auf einen warmen Empfang verlassen sollten oder eine Einladung zum Essen.“
„Was sind das für Leute, zu denen wir fahren?“
„Garou,“ begann Ariana die Erklärung. „Werwölfe, also. Aber nicht die Art, die du aus Horrorfilmen kennst, die sich bei Vollmond zu reissenden Bestien verwandeln. Man nennt sie auch, oder sie nennen sich: Die Beschützer Gaias.
Der Legende nach, beschützen sie Gaia vor der Zerstörung, also vor allem vor den Menschen.“
Marlin schwieg einen Moment, bevor xies leise kommentierte: „Das … hat nicht so ganz geklappt …“
Ariana nickte. „Und genau das ist ein Problem und im Moment auch Teil unseres Problems.
Die Garou glauben, dass wir uns am Ende der Zeit befinden und so etwas wie die Apocalypse bevorsteht.“
Marlin zog die Schultern zusammen. „Und was glaubst du?“
„Ich glaube, dass es sich auf jeden Fall so anfühlen kann.“ Ariana zuckte mit den Schultern. „Aber ich habe Geschichte studiert und neben all den vielen Gelegenheiten, in denen schon das Ende vorhergesehen wurde, möchte ich noch ein paar Anzeichen mehr sehen als nur die üblichen Anzeichen von Veränderung.
Veränderung steht bevor. Das ist unstrittig. Aber ich bezweifle, dass es das Ende ist. Und falls doch, hätte ich mit dem Ende noch ein Wörtchen zu reden.“ Sie spitzte die Lippen.
„Jedenfalls, die Wendigo sind der einzige Garou-Stamm, der ausschließlich aus Angehörigen der First Nations gehört. Nicht nur Navajo, auch wenn wir uns im Gebiet der Navajo Nation befinden. Und das bedeutet wiederum, das sie möglicherweise nicht mal im Rest der Nation so richtig Unterstützung erhalten und damit möglicherweise, naja, quasi zwischen allen Stühlen sitzen und entsprechend unbegeistert sind, sich nun um uns zu kümmern.“
„Warum zwischen allen Stühlen?“ hakte Marlin nach.
„Garou sind, wie gesagt, die Beschützer Gaias. Sie bekämpfen all das was sie den ‚Wyrm‘ nennen. Personifizierte Vernichtung, wenn du es so sehen willst. Ölfirmen, die das Trinkwasser und den Boden vergiften, Goldgräber, die das Gold mit giftigen Chemikalien aus dem Wasser waschen …“ als Marlin immer noch fragend blickte, fuhr sie fort, „… auch Glücksspiel gehört gewisser Weise zum Wyrm, weil es Existenzen zerstört.“
Jetzt fiel auch bei Marlin der Groschen. „Das heißt, es gibt native Americans die …?“
„… nach dieser Definition der Garou dem Wyrm dienen, ja.“
„Oh.“
„Ja.“ Ariana nickte. Sie atmete durch. „Ich mache mir ehrlichgesagt ein bisschen Sorgen, was diese Zusage, uns unterzubringen, bedeutet. Ich habe keine Ahnung was Dr. Nemeth ihnen als Gegenleistung angeboten hat und auch wenn ich zwei, hm, Asse im Ärmel habe, gibt es gerade an mir noch viel mehr, dass ihnen missfallen könnte.“
„Was denn?“
„Die Asse oder das Missfallen? Ich hab mir inzwischen einen … gewissen Ruf … bei Garou erarbeitet und konnte einige zur Zusammenarbeit bewegen. Mein ehemaliges College ist das Gebiet eines anderen Garou Stammes, der Black Furies, auch wenn ich das erst Jahre später erfahren habe, weil ich damals noch nicht erwacht war. Aber die Wendigo … können ganz gut mit den Black Furies. Und noch ein paar … Kleinigkeiten.
Aber ich wirke einen Teil meiner Magie über Technik und, naja, wir gehören zu den Weißen, die sie von ihrem Land vertrieben haben.“ Ariana setzte den Blinker und bog ab. Dem Werbeschild zu einem Lowe’s folgend.
„Einige von ihnen, sähen uns am liebsten tot.“